Es war wohl ein Wagnis, das Wolfgang Amadeus Mozart und Lorenzo Da Ponte gleich bei ihrer ersten Zusammenarbeit eingingen, auf jeden Fall aber eine im Wien des späteren 18. Jahrhunderts vollkommen unübliche Vorgehensweise: Ein neues Opernprojekt zu beginnen, ohne dafür zuvor beauftragt worden zu sein, ohne gesicherte Aussicht auf eine Aufführung oder gar Entlohnung. Im Falle Mozarts kam erschwerend hinzu, dass er an den maßgeblichen Stellen — nicht zuletzt am Kaiserhof — zwar als Instrumentalkomponist einen ausgezeichneten Ruf besaß, auf dem Gebiet des Theaters jedoch als wenig erfahren galt. Obendrein stellte die vom Komponisten gewählte Vorlage, Beaumarchais’ Komödie Le Mariage de Figaro, eine Realisation der geplanten Oper auf einer öffentlichen Bühne zusätzlich infrage — hatte doch Joseph II. die Aufführung des mit revolutionärem Zündstoff aufgeladenen Schauspiels kurz zuvor mit der Begründung untersagt, dass »das Stück viel Anstößiges« enthalte. Mit viel diplomatischem Geschick und dem Hinweis, keine reine Übersetzung des französischen Originals, sondern eine von allen bedenklichen Inhalten gereinigte Neufassung des Stoffes geschaffen zu haben, gelang es Da Ponte jedoch, die Bedenken des Kaisers auszuräumen, ihn sogar vom Vorhaben zu überzeugen und schließlich dazu zu bringen, die Uraufführung von Le nozze di Figaro am 1. Mai 1786 im Hofburgtheater persönlich anzuordnen.
Tatsächlich waren es weniger die tagesaktuelle Politik oder gar revolutionäre Ideen zur Neuordnung der Gesellschaft, die den Komponisten und den Textdichter umtrieben, sondern vielmehr grundsätzliche Fragen des menschlichen Miteinanders. Die Bemühungen der gedemütigten Gräfin, die Liebe ihres ungetreuen Ehemannes zurückzugewinnen, Susannas und Figaros Bestreben, ihre Beziehung gegen die amourösen Nachstellungen des Grafen zu verteidigen, das sexuelle Erwachen des pubertierenden Cherubino bilden die zentralen Handlungsstränge, deren Kreuzung jene Verwirrungen und Situationen entstehen lassen, die Mozart die Möglichkeit boten, tief in das Seelenleben der Figuren einzutauchen und die Geschlechterbeziehungen zu durchleuchten. Dies gelang Mozart nicht zuletzt, indem er die Musik zu einem vollständigen dramatischen Funktionsträger aufwertete: Jedes Wort, jeder Satz, jede Gefühlsregung erfuhr im Notentext seine konkrete kompositorische Gestaltung. Entgegen dem landläufigen Klischee schrieb Mozart die einzelnen Nummern allerdings nicht fix und fertig in einem Zug nieder, sondern experimentierte und rang durchaus immer wieder um die für ihn ideale Umsetzung, strich bereits gefundene Ansätze und suchte nach neuen Lösungen, wie aus dem Autograf zu ersehen ist. Schon in der Ouvertüre verwarf Mozart etwa einen ursprünglich angedachten langsamen, 16taktigen d-Moll-Teil zugunsten der durchgehenden atmosphärischen Antizipation des »tollen Tages«, wie der auch in der Oper beibehaltene Untertitel des Schauspiels lautet. Und mit dem schon von Gluck verwendeten, auf eine andalusische Volksmelodie zurückgehenden Fandango im dritten Akt wird sogar das spanische Ambiente der Handlung hörbar gemacht. Die endgültige Fertigstellung der Partitur inklusive der Orchestrierung nahm ein halbes Jahr in Anspruch, was angesichts von Mozarts üblichem Arbeitstempo und den Produktionsbedingungen des damaligen Opernbetriebs als ganz und gar außergewöhnlich bezeichnet werden muss.
Aber auch rein formal wichen Mozart und Da Ponte insofern von der Tradition der Opera buffa ab, als sie die Ensembles auf Kosten der Arien aufwerteten und ein Gleichgewicht zwischen den beiden Formen erreichten. Interessantes Detail in diesem Zusammenhang: Obwohl die Oper den Namen Hochzeit des Figaro trägt, steht letztlich weniger die Titelfigur als dessen Braut Susanna im Mittelpunkt des Geschehens, was sich auch in ihrer starken musikalischen Präsenz zeigt. So ist sie beispielsweise die einzige, die in allen Duetten mitwirkt.
Der anfängliche große Triumph von Le nozze di Figaro (das Publikum verlangte derart viele Wiederholungen einzelner Nummern, dass der Kaiser regulierend einschreiten musste) verebbte in Wien fürs Erste zwar schon recht bald, doch zogen die wenig später erfolgreichen Aufführungen in Prag immerhin den Kompositionsauftrag für Don Giovanni nach sich. Den endgültigen Status als eine der populärsten Opern der internationalen Spielpläne errang das Werk Anfang des 20. Jahrhunderts, nicht zuletzt durch Gustav Mahlers unermüdlichen Einsatz in Europa, aber auch in New York. An der Wiener Staatsoper ist Le nozze di Figaro heute das mit Abstand am häufigsten aufgeführte Stück des gesamten Repertoires.
Mit der nun anstehenden Neuproduktion wird der im Vorjahr begonnene Mozart-Da Ponte-Zyklus unter der Leitung von Musikdirektor Philippe Jordan und in der Inszenierung Barrie Koskys fortgesetzt.