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Victor/Victoria
D: Erik Petersen
C: Samuel HogarthTjaard Kirsch
Besetzung: Peter Felix BauerMichael DahmenZodwa SeleleHenner MomannBeatrice ReeceStefan ReilArmin DillenbergerRico SalatheZodwa SeleleBeatrice ReeceRuth FuchsRuth FuchsGrace SimmonsSarah SteinemerSarah ZippuschStuart GannonStefan ReilRico SalatheRobert SchmelcherLászló NagyLara SchittoPaul-Johannes Kirschner
Es funkelt der Genderstern

Das Staatstheater in Mainz zeigt das Musical „Victor/Victoria“ um eine Frau, die einen Mann spielt, der eine Frau spielt. Hinter der Verwirrung steckt Kalkül. Denn mit den Denkmustern der Geschlechteraufteilung soll gebrochen werden. Am Ende eines langen Musical-Abends sind sie alle ein ganzes Stück ehrlicher zu sich selbst. Der Bodyguard Squash Bernstein erkennt, dass er hinter der Fassade des Muskelmanns im schwarzen Anzug perfekt seine Homosexualität verborgen hat. Sein Chef, der zwielichtige Halbwelt-Geschäftsmann King Marchan, hat immerhin den Gedanken zugelassen, dass er schwul sein könnte. Denn die Show-Künstlerin Victoria Grant geht ihm nicht mehr aus dem Kopf, ganz egal, ob sie Männer- oder Frauenkleider trägt. Auch sie entscheidet sich am Ende des Musicals „Victor/Victoria“ dafür, authentisch zu sein und als Frau zu leben, nachdem sie zuvor, in ihrer Rolle als Kunstfigur Victor Grazinsky, einen in Frauenkleidern auftretenden polnischen Grafen gegeben und dem Pariser Publikum erfolgreich den Kopf verdreht hat. Das im Paris der frühen Dreißigerjahre spielende Musical auf das Buch von Blake Edwards und zur Musik des mehrmaligen Oscar-Preisträgers Henry Mancini war bei der Uraufführung 1995 am New Yorker Broadway ein großer Erfolg – mit Julie Andrews in der Titelrolle, die sie schon drei Jahre zuvor im gleichnamigen Film gespielt hatte. In der Neuproduktion des Musicals im Großen Haus des Staatstheaters Mainz kann sich Regisseur Erik Petersen auf ein starkes, den Premierenabend weitgehend tragendes Musical-Ensemble verlassen, auch wenn in den Hauptrollen einzig Zodwa Selele als Victor/Victoria mit voller darstellerischer, musikalischer und tänzerischer Präsenz aufwartet. Nur der Ohrwurm fehlt Die Frage nach der sexuellen Orientierung, die Edwards und Mancini zwar swingend und im mitreißenden Bigband-Sound, aber trotzdem ernsthaft und bei aller Pointierung mit Fingerspitzengefühl stellen, hatte das Publikum bei der Uraufführung sicherlich viel seltener gehört, als es heute der Fall ist. Erst allmählich entwickelt sich eine breitere Sensibilität dafür, dass nicht alle Personen auf ein Geschlecht festzulegen sind. Gerade das drückt sich in der Verwendung des Gendersternchens aus, das Regisseur Petersen eher unbekümmert platziert, wenn er zum großen Finale „Victor*ia“ in Leuchtbuchstaben auf die Bühne hebt und darunter, in der Ausstattung von Kristopher Kempf, die Hauptfiguren in geteilten, halb Anzug, halb Kleid darstellenden Kostümen auftreten lässt. Doch Zweifel, welchem Geschlecht er angehört, hatte auf der Bühne zuvor niemand aufkommen lassen, auch wenn sich das aus der Figur von Victor/Victoria durchaus hätte entwickeln lassen. Im Vordergrund steht das Revuehafte, um das sich Bariton Michael Dahmen in der Rolle des Toddy, Chansonnier, Sympathieträger und Erfinder der Victor-Figur bemüht, ebenso Henner Momann als King Marchan, Beatrice Reece als überdrehte und sehr heterosexuelle Norma sowie Stefan Reil als, warum auch immer, bajuwarisch vor sich hin grummelnder Squash Bernstein. Gesungen und gesprochen wird überwiegend in der deutschen Übersetzung von Stefan Huber. Wenn einige der Gesangstexte von Leslie Bricusse doch auf Englisch zu erleben sind, zündet das Szenische gleich noch mehr – erst recht, wenn Zodwa Seleles Victoria daran beteiligt ist. Ein Manko: Dem Musical fehlt eine Melodie mit echtem Ohrwurm-Potential, wie sie Mancini, dessen Tod ihn an der schließlich von Frank Wildhorn vorgenommenen Fertigstellung des Musicals hinderte, Jahrzehnte zuvor in den Sinn gekommen war – mit „Moon River“ aus „Frühstück bei Tiffany“ oder dem „Pink Panther Theme“. Dass auch in dieser Musical-Produktion die akustische Verstärkung zu laut eingestellt ist und dass es nicht lustig wird, nur weil in Mainz einer „Wiesbaden“ sagt, gehört zu den Schwächen des Abends, die fulminant zündende Begleitung durch das von Tjaard Kirsch geleitete Philharmonische Staatsorchester dagegen zu seinen klaren Stärken.

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10 November 2021www.faz.netAXEL ZIBULSKI

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